Wien - menschlich und mutig
Architektur für das soziale Miteinander.
Wien zeigt, wie Stadt gelingt
Während Deutschland in einer Wohnkrise steckt, zeigt Wien, wie Stadtentwicklung menschlich, mutig und architektonisch anspruchsvoll gelingen kann.
Wohnraum ist in vielen Regionen knapp, teuer und für viele unerschwinglich. Neubauprojekte zeichnen sich selten durch große Innovationskraft oder Qualität aus, und die Umsetzung bleibt schleppend. Großmaßstäbliche Wohnviertel bergen dabei stets die Gefahr, unpersönlich zu wirken und sozial einseitige Milieubildung zu fördern.
Dass es auch anders geht, beweist Wien. Hier entstehen seit Jahren neue Quartiere, Plätze und Bildungscampusse, die als Vorbilder für eine soziale, menschengerechte und zugleich architektonisch ambitionierte Stadtentwicklung gelten. Architektur mit Wow – Wohnen und Leben im großen Maßstab, verbunden mit Vielfalt, Nachhaltigkeit und Lebensqualität.
Sprache als Spiegel der Stadt
Wenn der Blumenladen „Blumenhaus“, das Kosmetikstudio „Kussmund“ und der Bratwurststand „Zum Goldenen Würstel“ heißt, dann ist man in Wien. Hier gibt es Knödelseminare, Plaudertischerl und Puppenkrapfen – diese gefühlsbetonte und stilvolle Sprache, die vielfach ohne Anglizismen auskommt, spiegelt sich auch im Verhalten der Menschen, in der Architektur der Stadt und in Alltagsritualen wider.
Eine Stadt, in der es kandierte Veilchen oder an öffentlichen Plätzen Trinkwasser, Sonnenmilch oder Mückenspray aus dem Spender gibt und im Biergarten auf Wunsch weiße Tischdecken mit Stoffservietten auf Vorbestellung, muss man einfach mögen.
All diese vermeintlich kleinen Dinge fügen sich in eine moderne, menschengerechte und soziale Gesellschaft der Stadt Wien, die sich auch an aktuellen Projekten und Plätzen ablesen lässt.
Neue Stadtquartiere: menschlich und mutig
Die neuen Wiener Stadtviertel Sonnwendviertel und Nordbahnhof zeigen, wie Wohnen, Arbeiten und Freiraumgestaltung im großen Maßstab gelingen können. Großzügige autofreie Zonen werden von Grünflächen, Wiesen, Stauden und Holzliegen durchzogen. Zwischen Tischtennisplatten, Urban Gardening und Straßencafés begegnen sich Menschen aller Generationen. Kinder rollen mit Laufrädern an Sonnenblumen vorbei, während die Straßenbahn leise durchs Viertel fährt.
Eingerahmt ist das Leben in eine vielfältige, hochwertige Architektur: Laubengänge, breite Balkone, kleine Loggien, die wie Zungen aus den Fassaden ragen – jedes Gebäude erzählt eine eigene Geschichte. Partizipation war von Anfang an wichtiger Teil der Stadtgestaltungsprozesse.
Drei Dinge stechen besonders hervor: die Vielfalt der Ausdrucksformen, die auffällige Höhe mancher Gebäude (bis zu 20 Geschosse) – und die vielen Orte informeller Begegnung.
Diese Quartiere sind menschlich, weil sie Platz für Rückzug und Gemeinschaft bieten. Und sie sind mutig, weil sie zeigen, dass Dichte und architektonische Qualität kein Widerspruch sind.
Architektur, die Irritation wagt – Zaha Hadid an der WU
Viel Mut beweist auch das Library & Learning Center von Zaha Hadid Architects auf dem Campus der WU (Wirtschaftsuniversität Wien): Mit seinen geschwungenen Formen, gerundeten Ecken, dem auskragenden Obergeschoss mit dem übergroßen Fenster wirkt es wie ein futuristisches Raumschiff, das kurzzeitig gelandet ist.
Der Eindruck eines Raumschiffs verstärkt sich im Innern - kaum eine gerade Wand ist zu sehen, kaum eine Ecke. Alles ist gleitend, weiß, geschwungen, über vier Geschosse hoch offen, durchzogen von Brücken und Treppen und seitlichen Fenstern. Diese fast absolute Abwesenheit von Orthogonalität und Abkehr der gewohnten Ausrichtung nach den Gesetzen der Schwerkraft führt zu einer Irritation des Gleichgewichts - der Körper muss sich orientieren und ausrichten, damit er seine aufrechte Mitte in diesem verschobenen Gebäude findet.
Das Library & Learning Center von Zaha Hadid Architects – ein futuristischer Lernort voller Bewegung und Dynamik.
Öffentliche Räume als Orte des Lebens
Weniger spektakulär, aber auch mit belebten Plätzen, zeigt sich auch der gesamte Campus der WU. Und auch das ist ein Thema, das sich in Wien überall wiederfindet: Die Gestaltung von öffentlichen Plätzen und Grünanlagen. Selten habe ich so viele gepflegte, schön angelegte, blühende Beete und Plätze gesehen, die auch von vielen Menschen durch Bleiben, Liegen, Spielen, Sonnen und vieles mehr belebt werden.
Eine besondere Grünanlage direkt am Wasser ist das PIER 22 auf der Donauinsel. Ein wahres Gewusel aus großen und kleinen Menschen, die auf dem neu gestalteten Areal auf der Donauinsel “chillen, baden, sporteln oder einfach nur abschalten”. Hier kommen alle zusammen. Ohne Konsumzwang, aber mit Konsummöglichkeit. Ohne Betätigungszwang, aber mit Sportmöglichkeit. Ohne Eintrittsgeld und trotzdem auf dem Sonnendeck direkt am Wasser. Die abwechslungsreich gestalteten Außenanlagen bieten vielfältige Aufenthalts- und Betätigungsmöglichkeiten für eine Vielzahl von Menschen - und das wird rege genutzt, bis hin zu einem Sprung in die Donau.
Natur, Wasser und Ressourcen
Wien gestaltet seine Stadtflächen nicht nur schön, sondern auch klug. Das PIER 22, die Wohnprojekte und viele weitere Bereiche der Stadt zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Stadtgestaltung um Elemente ergänzen, die Überhitzung vorbeugen. Abkühlung versprechen auch die Trinkwasserbrunnen mit Sprühnebel – das macht nicht nur Spaß, sondern ist auch sehr sinnvoll. Die Weiterverwendung von Gebäudebestand ist ebenso Teil einer Strategie für ressourcenschonendes Bauen.
Wien sorgt vor – Trinkwasserspender und Sprühnebel als Teil einer sozialen Stadtgestaltung.
Umbau der Gasometer
Aus Industriegeschichte wird Stadtleben: Die Gasometer vereinen Wohnen, Arbeiten und Kultur hinter historischen Ziegelmauern.
In Wien zeigt der Umbau ehemaliger Gasbehälter zu Wohn- und Gewerbeflächen, wie dies gelingen kann. Die vier Gasometer wurden von bekannten Büros wie denen von Jean Nouvel oder Coop Himmelb(l)au umgeplant, sodass neues Wohnen und Gewerbe hinter historischen Fassaden möglich wurde. Die Gebäude sind von außen architektonisch spannend, verlieren beim Durchgehen jedoch etwas von ihrem Glanz. Dennoch ist es ein ausdrucksstarker Bestand, der in neuer Nutzung seine alte Rolle im Wiener Leben zeigt und damit eine Brücke zwischen gestern und heute bildet.
Schönheit als soziale Praxis
Dass Architektur soziale Praxis ist und Mensch, Natur und Gebäude sich verbinden müssen, zeichnet auch die Arbeit von Friedensreich Hundertwasser aus. Sein berühmtes Hundertwasserhaus versteht Schönheit als Medizin – als Gegenentwurf zu Kälte und Gleichförmigkeit. Seine Idee: Architektur als soziale Praxis, die Mensch, Natur und Gebäude verbindet. Wien zeigt, dass diese Haltung lebendig ist. Hier werden Schönheit, Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Anspruch vereint – menschlich, mutig und beispielhaft.
Wien im Wandel – Architektur und Freiraum als Teil einer lebenswerten, sozialen Stadtgesellschaft.