Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Amerika?
In einem früheren Beitrag "Wie viel Tradition verträgt die Zukunft?” habe ich über rückwärtsgewandte Architektur geschrieben und darüber, was diese Architekturhaltung über konservative Werte aussagt. Die Debatte ist aktueller denn je – nicht zuletzt durch den derzeitigen US-Präsidenten.
Während meiner Schulzeit bin ich für eine Projektarbeit im Kunst-Leistungskurs mit dem Fahrrad durch das beschauliche Aurich gefahren und habe die klassizistischen Gebäude gezeichnet. Mir gefielen die klaren Formen, die harmonischen Proportionen, die dorischen oder ionischen Säulen mit ihren Kapitellen. Und warum auch nicht? Ist ja auch “nett” anzusehen. Eine mögliche politische Aussage der Gebäude habe ich in keiner Weise mit der Architektur verbunden.
Architektur als Sprache
Aber Architektur ist nicht neutral oder nur “nett”. Was Watzlawick über die Kommunikation von Mensch zu Mensch sagte: “Man kann nicht nicht kommunizieren”, gilt auch für die Architektur: Architektur kann nicht nicht kommunizieren. Architektursprache dient immer auch dem Zweck, gesellschaftliche Strömungen und Werte widerzuspiegeln.
Dekret zur Schönheit – mit politischer Schlagseite
Und so lässt sich der derzeit in Amerika (und leider nicht nur dort) zu beobachtende Backlash auch an einer politischen Handlungsanweisung ablesen: Trump unterzeichnete gleich am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit ein Dekret zur “Verschönerung öffentlicher Gebäude”: Promoting Beautiful Federal Civic Architecture (20. Januar 2025) und forderte dazu auf:
„Federal public buildings should be visually identifiable as civic buildings and respect regional, traditional, and classical architectural heritage in order to uplift and beautify public spaces and ennoble the United States and our system of self-government.“
Die Verordnung verfolgt ein klares Ziel: Alle öffentlichen Gebäude sollen in der Architektursprache des Klassizismus errichtet werden. Nur so könne die Bedeutung ihrer Funktionen angemessen dargestellt werden. Wir sprechen hier von rund 9.000 Gebäuden, die das regionale, traditionelle und klassische architektonische Erbe repräsentieren und eine einheitliche Architektur der amerikanischen Demokratie darstellen sollen. Als Vorbilder dienen das Kapitol, das Weiße Haus oder der Supreme Court. Gestaltungsmerkmale sind Erhabenheit, Königlichkeit, Kuppeln, Säulen, Symmetrie, Material: Stein und Marmor, Farben: Weiß, Gold und Grün, Größe der Architektur - Kleinheit der Menschen.
Dieses Dekret ist übrigens eine Neuauflage eines Dekrets, das er bereits in den letzten Tagen seiner ersten Amtszeit erlassen hatte, das dann aber von Joe Biden zurückgenommen wurde. Doch mit dem neuen Dekret vom Januar ist es nicht genug: Seit dem 27. März 2025 gibt es ein weiteres Dekret zur “Verschönerung” der Stadt Washington, die “D.C. Safe and Beautiful Task Force”.
Überhaupt nicht “beautiful”, sondern beunruhigend sind daran mindestens zwei Dinge:
Die Einmischung
Die klare Vorgabe eines Architekturstils - und zwar für eine ganze Reihe von Gebäuden - von einem Präsidenten ohne architektonisch-gestalterische Fachkompetenz. Damit untergräbt Trump eine langjährige Vorgabe aus der Kennedy-Zeit, die die Vorgabe eines Architekturstils von seiten der Politik explizit untersagte und stattdessen die Gestaltungshoheit bei den Architekturschaffenden sah - und nicht bei der Regierung. Zwar regte sich erwartungsgemäß Widerstand in den Architektenverbänden. Der aber leider eher zaghaft blieb, weil sich nach eigenen Aussagen kaum jemand aus Angst vor Repressionen namentlich äußern wollte. (Tja, so politisch kann Architektur sein...)
Auch an anderer Stelle greift Trump direkt in das Kulturprogramm ein: So hat er selbst den Vorsitz im Aufsichtsrat des Kulturzentrums Kennedy Center übernommen und nimmt dort direkt und massiv Einfluss auf das Kulturprogramm.
Die Symbolik
Was auf den ersten Blick harmlos erscheint, entpuppt sich als hochsymbolische Strategie: Es geht nicht um Schönheit - es geht um die Botschaft!
Der von Trump ungeliebte (geradezu “verhasste”) Stil des Brutalismus war in den 1970ern ein Symbol der “Great Society” - ein Reformprogramm, das soziale Gerechtigkeit und staatliche Fürsorge in den Mittelpunkt stellte. Die Bauten dieser Zeit verzichteten bewusst auf altehrwürdige Symbolik mit Säulen, Kapitellen und dergleichen und auf eine distanzierte Architektursprache. Aufbruch und Neubeginn, bauliche und gesellschaftliche Innovation und der Blick in die Zukunft standen damals auf der Agenda. Heute geht es den politisch Mächtigen um den Blick zurück - auf eine Gesellschaft, die eine klare Grenze zwischen “oben” und “unten” zieht und dabei den Anspruch von Ewigkeit verspricht. Und um eine königlich anmutende Elitenarchitektur, die diese politischen Botschaften transportiert.
Es geht nicht um Schönheit - es geht um die Botschaft!
Ein historischer Vergleich
Die politische Instrumentalisierung von Architektur hat historische Vorbilder - auch in Deutschland. Die NS-Zeit zeigt exemplarisch, wie Architektur zur Manifestation autoritärer Weltbilder genutzt wurde. Auch die Nationalsozialisten unter Hitler hatten Architektur als Ausdrucksmittel auf ihrer politischen Agenda.
So heißt es im Lexikon der Weltarchitektur:
„In Fortsetzung der Ästhetisierung der Politik gewann die Selbstdarstellung des NS-Systems in der offiziellen Staatsarchitektur vorrangige Bedeutung [...]. Oberstes Ziel [...] ist die Einflußnahme durch das architektonische Kunstwerk und die Verkörperung des Führerprinzips.“
Die Nationalsozialisten arbeiteten mit einer großen Symbolik ihrer Bauten und griffen die Gestaltungsprinzipien des Klassizismus auf. Konservatismus, Überlegenheit, Stärke, Stein, Symmetrie, Megalomanie und das Versprechen der Unendlichkeit sollten die Staatsbauten ausdrückten. Daneben verkörperten die Siedlungshäuser für Einfamilienhaushalte und andere Alltagsbauten, wie die Heime der Hitlerjugend, eine historische, regionale Baukultur für eine Gesellschaft nach ihren Vorstellungen - so wie in Amerika neben den klassizistischen öffentlichen Bauten der ‘Federal Style’ der Herrenhäuser des alten Südens seinen geordneten Platz im Gestaltungskanon hat.
Und hier so?
In Deutschland haben wir glücklicherweise keine Architekturverordnungen, die eine normierte Vorstellung von Schönheit politisch durchsetzen. Dennoch: Verfolgt man hier die Initiativen zur Rekonstruktion historischer Bauten, sollte man aufmerksam bleiben. Wer hat welches Interesse am Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche, des Berliner Stadtschlosses oder der Dresdner Frauenkirche? Welche Rolle spielen finanzkräftige Mäzene und welche Werte und Ideale werden mit den Bauten visualisiert?
Architektur ist nie nur Gestaltung - sie ist gebaute Ideologie, Raum gewordene Haltung. Wer hinschaut, erkennt mehr als schöne Fassaden.
Architektur ist nie nur Gestaltung